Trauer

Als sich mir erschlossen hatte, dass ich durch rohe Gewalt, durch Unrecht, Raub und Mord ohne meine jüdischen Mitbürger leben musste, sie nie hatte kennen lernen dürfen, sie für immer verloren hatte, kam eine große Verzweiflung über mich, die Jahre währte. Immer wieder rannte ich in Gedanken an gegen die unveränderbare Realität, durch die ich ohne das leben musste, was mir am wertvollsten war und das ich doch niemals hatte erleben dürfen. Ich wollte mich keinesfalls abfinden mit den Ergebnissen einer Geschichte, die nicht die meine war und doch vollkommen die meine.
Man nennt dies Trauer einen Verlust zu erleiden und zu versuchen, mit ihm zu leben.
Nun bin ich erwachsen geworden. Ich habe jüdische Freunde in anderen Ländern gesucht und gefunden. Ich habe gelernt, ohne Synagoge zu Gott zu beten. Ich kann die chassidische Hingabe in mir fließen lassen. Ich küsse die Thora in Gedanken und fühle mich glücklich.
Kein jüdisches Leben in Deutschland, das unbeschwert einfach sein kann. Kein jüdischer Alltag mit mir oder nur neben mir. Kein koscheres Essen. Einsamkeit. Trennung.
Und doch habe ich da ab und zu ein Gärtchen gesehen, wo ich säte. Und ab und zu habe ich Pflänzchen entdeckt, die wachsen. Diese Liebestropfen, die nicht vergehen. Mal sehen.
2005