Die europäische Flüchtlingskrise

2016-01-16-europaeische-fluechtlingskrise

Die „New York Times“ lässt ihre Leser wissen: Deutschland steht am Abgrund. Diese Nachricht entspricht nicht der Realität. Deutschland ist ein gut organisiertes Land, in dem sich gerade zehntausende Freiwillige für die Flüchtlingshilfe engagieren. Bisher funktioniert dies zufriedenstellend und wir können feststellen, wie erstaunlich gut insbesondere die sozialmedizinischen Institutionen und Netzwerke gemeinsam mit der Zivilgesellschaft  das Problem meistern. Ein Problem, dessen Auslöser nicht Deutschland ist. Vielmehr liegt seine Ursache in der Meinung der US-Regierung begründet, dass Präsident Assad – immerhin noch 2014 mit 88,7 % bei einer Wahlbeteiligung von 73,4 % vom Volk gewählt, davor zwei Mal mit über 90 % – abtreten muss. Ebenso, wie in ihren Augen Präsident Saddam Hussein, Präsident Gaddafi, Präsident Mubarak “abdanken” mussten – oder all die anderen Präsidenten, die entweder durch Attentate oder durch Staatsstreiche beseitigt wurden. Nur wenige konnten sich diesem Schicksal entziehen: einer davon ist Ho Chi Minh, ein anderer Fidel Castro (mehr als 60 Attentatsversuche, davon mehrere von der US-Regierung offiziell eingestanden) und – bis jetzt – Präsident Assad.

Wenn die USA damit aufhörte, anderen Ländern ihre finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Interessen aufzuzwingen, könnte die Welt ein Ort des Friedens werden. Dann müssten die Konflikte von den vor Ort Betroffenen – bei Bedarf unter Zuhilfenahme von Vermittlern wie z. B. der UN – gelöst werden. Derzeit gibt es jedoch immer mehr Kriege, da die Konzerne insbesondere der USA alle wichtigen Bereiche des Lebens kontrollieren: Politik, Rüstungsindustrie, Landwirtschaft, Pharmaindustrie, Bankenwesen, um nur einige zu nennen. Diese Machtkartelle lassen sich von Think-Tanks, Medien und PR-Agenturen, Lobbyisten und NGOs unterstützen, die dafür gut bezahlt werden. Zusätzlich gibt es noch die 16 Geheimdienste der USA, die Regierungs-, Konzerninteressen wie auch ihre eigenen Interessen im In- und Ausland durchsetzen.

Wir stehen vor den Herausforderungen des Krieges im Nahen Osten, dessen Verursacher gerade die Länder nicht sind, die jetzt die meisten Flüchtlinge aufnehmen. Es waren die USA, zusammen mit den alten europäischen Kolonialmächten – vor allem England und Frankreich – sowie insbesondere Saudi Arabien und Qatar, die diesen Krieg anzettelten. Sie sollten die Ersten sein, die die Folgen dieses Krieges tragen müssen. Doch das Gegenteil ist der Fall – sie alle schließen ihre Grenzen und versuchen auch noch aktiv, die Verantwortung anderen Ländern zuzuschieben, welche es ihnen nicht gleichtun. Der Artikel in der „New York Times“ sowie andere anmaßende Meinungsäußerungen in den USA zeugen davon. An dieser Stelle soll aber nicht verschwiegen werden, dass Deutschland mit seinen Waffenlieferungen auch zu diesem Konflikt beitrug.

Was soll mit den Millionen von Menschen, welche um ihr Leben fliehen, weil sie in den Flüchtlingslagern an den Grenzen nicht ausreichend Nahrung erhielten oder weil ihre Kirchen, Städte, Dörfer und Familien das Ziel von Terroristen wurden, geschehen? Lassen wir zu, dass sie abgeschlachtet werden? Eines ist bekannt: die USA haben ihren finanziellen Anteil für die Nahrungsmittelversorgung an den syrischen Grenzen nicht rechtzeitig bezahlt, so dass die Menschen hungern mussten – ein wesentlicher Auslöser für die Fluchtwelle.

Auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise war die Außenpolitik von Kanzlerin Merkel zunehmend eigenständig. Deutschlands Regierung kämpfte für das Minsker Abkommen, welches zu einer Waffenruhe innerhalb der Ukraine führte. Dies war ein mutiger Schritt, da er in Abgrenzung zu den NATO- und US-Interessen geschah, um einen Krieg in Europa zu verhindern. Die Ukraine-Krise wurde hauptsächlich von den USA verursacht, die seit Jahren eine den Kapitalinteressen westlicher Konzerne gegenüber devote Regierung durchzusetzen suchte – mit Hilfe Deutschlands und der EU. Welche Rolle spielte die NATO in dieser Krise? In welchem Ausmaß haben ihre „Berater“ die Entwicklung der Krise beeinflusst? Ohne einen Feind hat die NATO keine Daseinsberechtigung.

Objektiv gesehen müssen Kanzlerin Merkel und die Bundesregierung jetzt weiterkämpfen; diesmal, um eine Waffenruhe im Nahen Osten zu erlangen – und das, obwohl Deutschland an diesem Krieg nicht beteiligt war. Ganz Europa ist davon betroffen, handelt jedoch nur reaktiv, nicht aktiv oder gar proaktiv – außer Russland, welches per Definition zumindest teilweise zu Europa gehört. Wir müssen uns fragen: warum ist Europa derart gelähmt? Wir finden in Europa nach wie vor starke Interessenskonflikte zwischen West und Ost, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Konflikt zwischen Sozialismus und Kapitalismus darstellten, heute als Kampf zwischen starken privatwirtschaftlichen Wirtschaftsunternehmen und einem starken Staat, der teilweise noch versucht, die Interessen aller Bürger wahrzunehmen, teilweise aber auch im Interesse einzelner Bevölkerungs- oder Wirtschaftsgruppen handelt. So geht es heute ganz stark um den Kampf um Einfluss darauf, in wessen Interesse die staatlichen Institutionen handeln, im Interesse ihrer Bürger oder der Konzerne, wie sich bei den transatlantischen Verhandlungen um CETA und TTIP  besonders deutlich und in der Politik der EU zunehmend deutlich zeigt. Da der Mittelstand keine starke Lobby hat, wird er – obwohl er die Masse von Arbeitsplätzen, Einkommen, Vermögen und Ausbildung garantiert – zunehmend ausgebeutet und an den Rand gedrängt.

Die momentanen Angriffe auf Kanzlerin Merkel – ein besonders markanter jetzt auf prominenter Seite in der „New York Times“ – können als Teil einer Strategie gesehen werden, sie zu schwächen. Kanzlerin Merkel könnte ein Machtwort sprechen, um die Aggressionspolitik der USA zu stoppen. Warum sie es nicht wagt, bleibt verborgen. Es gibt viele Gerüchte über eine „Kanzlerakte“, welche den jeweiligen Kanzler/die jeweilige Kanzlerin zwingt, als “Angestellte/r” der USA bis zum Jahre 2099 tätig zu sein. Es sind auch Dokumente in Büchern und im Internet zu finden, die dies zu beweisen scheinen. Bisher wissen wir allerdings nichts mit Bestimmtheit. In der Ukraine-Krise allerdings zeigte sie, dass sie nationale wie europäische Politik durchsetzen konnte. Die Neokonservativen wie auch Teile der NATO-Führung sind hierüber nicht erfreut.

Sicherlich hat die Flüchtlingswelle materielle Gründe: der Nahrungsmangel in den Flüchtlingslagern, der endlose Krieg in Syrien, Afghanistan und Libyen, Terrorismus. Doch möglicherweise gab es ein Interesse daran, diese Welle bewusst zu erzeugen (Weapons of Mass-Migration, nachzuschlagen im Internet) – um Europa zu destabilisieren, mit internen Problemen beschäftigt zu halten und so die kriegstreibende Politik im Nahen Osten, der Ukraine und rund um die Russische Föderation sowie auch gegen China ungestört fortsetzen zu können. Es gibt Anzeichen dafür, dass es insbesondere im Sinne der Politik Erdogans war, sich der Flüchtlinge zu entledigen, um seine aggressive Innen- und Außenpolitik durchzusetzen. Er war erfolgreich. Er erhält drei Milliarden (!) Euro für die Flüchtlingslager und kann uns die Flüchtlinge immer noch schicken, wenn er mag. Europa hat sich – wie wir jetzt sehen – erpressbar gemacht. Wo ist die kritische Diskussion darüber? Warum kein Aufschrei in Deutschland wegen der innen- wie außenpolitischen Gesetzesbrüche Erdogans?

Das Ziel des Neoliberalismus ist inzwischen offensichtlich: starke Regierungen bzw. Nationen und deren Staatenbünde genügend zu schwächen, um eine ultraliberale Wirtschaftspolitik durchzusetzen; der Welt eine besondere Oligarchie (welche in den USA bereits herrscht) aufzuzwingen: den sogenannten „Wirtschaftsliberalismus“, in dessen Rahmen die Monopole handeln können, wie es ihnen gefällt. Dabei werden sie von einem Netzwerk von Geheimgesellschaften, privat finanzierten Think-Tanks und Lobbyisten, Medien und NGOs unterstützt. Diese Unterstützer werden von den immensen Profiten bezahlt, die eingefahren werden können, da sie von niemandem mehr kontrolliert werden. Auf diesem Wege wird die Meinung der Bevölkerung in maximaler Weise zu beeinflussen versucht.

Bisher haben jene US-Strategen, welche sich eine Vorherrschaft der USA wünschen – und sie sind in der US-Außenpolitik dominant – noch keine Strategie gefunden, Russlands Kampf gegen den Terrorismus an Assads Seite zu stoppen. Doch sie werden alles tun, um diese Allianz, die inzwischen auch den Irak und Iran einschließt, zu schwächen – genau wie sie dies tun, seitdem Russland sich unter Putins Führung gegen die internationalen Monopole wehrt, welche unter Jelzins Regentschaft dabei waren, Russland zu enteignen. Russland steht also nicht erst seit der Ukraine-Krise im Visier. Russland wurde seit dem Mauerfall entgegen internationaler Abkommen und Versprechen von der NATO umzingelt, und Putins Angebot von 2004, der NATO als Mitglied beizutreten, wurde abgelehnt. Stattdessen ist  Russland zum Feind erklärt. Warum wohl? Ohne einen Feind kann die Rüstungsindustrie nicht weiterwachsen. Ein Feind wird auch benötigt, wenn eine dialoglose, einseitige Expansions-, Landnahme- und Machterweiterungspolitik betrieben werden soll, seit Jahren in der Politik von Israels Ministerpräsident Netanjahu oder des türkischen Präsidenten Erdogan ersichtlich.

Was können wir tun? Zunächst muss Deutschland die Zusammenarbeit mit Russland stärken. Die Wirtschaftssanktionen sind zu beenden. Deutschland kann dabei die Schlüsselrolle einnehmen, die Differenzen zwischen Ost und West zu überwinden. Ein geeintes Europa kann die drängendsten Probleme besser lösen. Eine transkulturelle Kooperation zur Transformation der Ausbeutung hin zur Nachhaltigkeit ist notwendig. Soziale, ökologische und kulturelle Prinzipien müssen neben das Profitprinzip treten und weltweit die Wirtschaftspolitik bestimmen. Dafür benötigen wir einen offenen Dialog. Und Politiker, die Gewerkschaften, Intellektuelle, Meinungsführer, Interessenverbände und führenden Wirtschaftszweige inklusive ihrer Lobbies müssen dazu bereit sein zu handeln. Sollte dies nicht passieren, bleibt das Handeln der basisdemokratischen Masse – ein Handeln, das nicht zwingend einen friedlichen Weg findet.

Wir sehen in Deutschland gerade, wie leicht es ist, eine Massenhysterie in Gang zu setzen. Es ist schwer, die Folgen einer solchen Hysterie einzudämmen. Die Medien spielen dabei eine wichtige Rolle – sie können auf der Welle der Hysterie schwimmen und sie sogar verursachen bzw. überhöhen – oder sie können der Bevölkerung mit einer gut recherchierten Berichterstattung helfen. Durch die moderne Facebook-Kultur können falsche oder verzerrte Berichte in Windeseile verbreitet werden. Es ist dringend notwendig, dass die Medien  diesem Trend entgegenwirken und uns mit Informationen versorgen, die eine gemäßigte Politik ermöglichen. Sonst geraten wir – Anzeichen sind vorhanden – wirklich wieder in die Kriegshysterie, die vor dem ersten Weltkrieg herrschte.

Um die jetzige weltpolitische Lage zu stabilisieren, ist es für jede Nation wie auch die EU nötig, eine Stärken-/Schwächen-Analyse zu erstellen. Das Ergebnis derselben für Deutschland und Europa wird als eine der Hauptschwächen die defensive Außenpolitik und der damit einhergehende Mangel bei der Verteidigung der eigenen Interessen finden. Insbesondere ist es unabdingbar, Erdogan und seine Hauptverbündeten zum nationalen und internationalen Dialog zu zwingen und die Lage im Mittleren Osten zu stabilisieren. Wenn dies nicht erreicht wird, können die Flüchtlingsströme nicht nur Deutschland. sondern ganz Europa tatsächlich in den Abgrund stürzen lassen, nämlich ins Chaos.

Das mit Hilfe der UNO anzustrebende Ziel kann ein weltweiter Waffenstillstand sein. Das Mittel des Krieges muss negativ sanktioniert, d. h. unter Strafe gestellt und kriegerische Aktivitäten wie z. B. die gesetzlosen Drohnenangriffe der USA verboten werden. Dabei kann Deutschland eine entscheidende und beispielgebende Rolle spielen. Nötig ist eine Politik, die die Zivilgesellschaft mit positiven Zielen eint. Es gibt in Deutschland sehr viel, auf das die Bevölkerung stolz sein kann. Hieran gilt es anzuknüpfen.

[Foto: Marion Schneider]